Ich bin Sängerin und Komponistin. So stelle ich mich zuerst vor, wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt. Und Musiklehrerin, füge ich noch hinzu, für Gesang und Klavier.

„Ah ja, schön“, höre ich dann vom Gegenüber.

Die nächste Frage lautet immer: „Was machst Du denn für Musik?“

Ich antworte automatisch: „Jazz!“

Der Begriff Jazz ist so eine Sache. In Berlin reagieren sehr viele Menschen positiv darauf. In Wien eher nicht. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich. In Berlin leben sehr viele Englisch sprechende Menschen, die häufig mit dem Genre Jazz etwas anfangen können.

Aber Jazz ist auch in Verruf geraten, seitdem er studiert, erlernt werden kann. Oft wirkt die gezeigte Virtuosität eingeübt und somit oberflächlich. Ich kann Menschen verstehen, die von diesem „Gedudel“ nichts halten.

Ich könnte genauso gut sagen, ich mache World und Gipsy Music, Soul und Blues. Von Soul und Blues haben viele Menschen eine ungefähre Vorstellung. Und was ist jetzt mit World und Gipsy Music gemeint?

World – Gipsy – Balkan?

World und Roma-Musik kann aus den verschiedensten Winkeln der Erde kommen, aus Spanien, Portugal, vom Balkan, aus dem Nahen Osten oder aus Russland. Und diese unterscheidet sich je nachdem aus welcher Region man die Töne anklingt. Roma-Musik vom Balkan hat mich geprägt. Deshalb bringe ich sie mit der Sprache der Freiheit, dem Jazz, in Einklang. Diese Mischung nenne ich World & Gipsy Music vom Balkan, oder doch lieber World & Gipsy Jazz Music? Ein schwieriges Unterfangen.

Die Skalen unterscheiden sich und der Rhythmus. Der Balkan-Rhythmus ist bekannt für seine ungeraden Takte: 9/8, 11/8, 13/8 sind dort keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Bulgarien zum Beispiel ist eines der Länder mit den komplexesten Rhythmen der Welt. In Serbien, wo ich mein halbes Leben verbrachte, gehören ungerade Rhythmen zum Alltag. Ich nenne das den Puls des Volkes.

Da ich nun Jazz studiert habe, in Wien, ist es für mich selbstverständlich, auch traditionelle Musik vom Balkan zu verjazzen. Daraus ergibt sich meine spezielle Note von „World Music“.

Die freieste Sprache, die es gibt

Meine eigene Note. Ich singe traditionelle Lieder nicht Eins zu eins nach, das gibt es schon lange, das habe eh schon als Kind und Jugendliche gemacht. Aber Jazz hat mir neue Möglichkeiten in der Musik eröffnet, die Musik sozusagen emporgehoben. Innerhalb eines Musikstücks kann ich mich frei bewegen, ich kann improvisieren. Jazz bedeutet für mich die freieste Sprache, die es gibt. Wenn ich innerlich frei bin, mich in der harmonischen Struktur gut zurechtfinde und den Rhythmus verinnerlicht habe, kann ich die Freiheit in der Musik leben.

Viele Jazzmusiker*innen, so meine Erfahrung, setzen sehr auf Intellektualität, sie halten sich an die Stufen in der Jazzharmonik, die Skalen, sie vertreten eher eine mathematische Auffassung der Musik. Sie können sehr viele Töne spielen über eine harmonische Struktur, über Modulationen, kommen aber nicht über Skalen oder diese oder jene Harmonie hinaus. Sie sind dann für mich eben genau deswegen NICHT frei. Das ist nicht die Freiheit, welche ich meine. Skalen rauf und runter, wunderbar, viele gut gespielte, meist eingelernte, Passagen. Sehr virtuos und gekonnt. Aber nichts dahinter. Viel zu oft, leider. Als würde Jazz zur intellektuellen Onanie mutiert, seit es studierbar, erlernbar ist. Deswegen verstehe ich auch Menschen, auf die Jazz abturnend wirkt.

Für mich hingegen basiert das Musizieren darauf, den eigenen Gefühlen zu vertrauen und loslassen zu können. Auf Fühlen. Skalen sind letztlich nur die Buchstaben einer Sprache, die sind dazu da um sie zu Hause zu üben. Erst wenn man aus diesen Buchstaben ganze Sätze und Emotionen formt, kann man die Zuhörenden erreichen. Um Menschen in ihrem tiefsten, innersten Kern zu berühren.  

Musik überlebensnotwendig und heilend

Für manche ist Musik wie die Luft zum Atmen. Alles was sie angreifen wird zur Musik. Ich bin so vielen Roma und Romnja in meinem Leben begegnet, die das echte Talent hatten, Musik zu machen. Egal ob mit oder ohne Instrument. Denn sie selbst sind das Instrument, immer mit Rhythmus und Gefühl: Fingerperkussion auf dem Tisch oder Stuhl, die Stimme oder der Tanz.

Ich habe mich irgendwann gefragt, womit das zusammenhängt. Liegt die Musikpraxis an der langen Geschichte der Wanderung von Roma und Sinti aus Indien? Sie hatten handwerkliche Berufe, aber auch das Musizieren war ein wichtiger Bestandteil ihrer Tradition. Musik war oft überlebensnotwendig, vor allem wenn sie als Musikanten auch ihr Brot verdienten. Nicht alle, aber viele.

Mit Musik freut man sich aber auch oft, oder man besingt die Traurigkeit und tanzt sie aus. Man zelebriert die Freiheit des Lebens. Musik heilt. Bringt zusammen. Transzendiert. Damit bin ich aufgewachsen.

Ich mache auch traditionellen Jazz, aber ich kann auch loslassen. Das Musikstudium kann nur die Basis sein für das eigentliche, freie Musizieren. Deswegen sagten mir damals die Lehrer: „Matilda, sich auszukennen ist gut, aber dann sollte man das alles beim Musizieren vergessen.“

Ganz meine Meinung. Musik soll nicht eingezwängt sein in ein Korsett und überladen mit Begriffen. Sie muss und soll frei sein.

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