Es schwirrt wohl seit geraumer Zeit in meinen Gedanken herum, aber jetzt in diesem Moment ist es greifbarer geworden. Die Initialzündung dafür, dass ich das jetzt niederschreibe, war eine kurze Begegnung im Edeka, bei mir um die Ecke. Eine alte Dame, sehr schlank und ein bisschen gekrümmt in der oberen Hälfte der Wirbelsäule, in einem schönen, weißen old style Mantel, graue Haare, kurzer Schnitt und Locken, eine Brille und sehr scheu, aber auch eine sehr liebe Ausstrahlung. Sie hat etwas ganz Bescheidenes eingekauft. Ich habe sie kurz angeschaut und sie mich dann auch, aber wir haben nichts geredet. Und dann ist sie rausgegangen. Es ist in mir ein Gefühl von Liebe aufgekommen. Ich mag ältere Menschen. Und in Deutschland, Berlin, wo ich jetzt lebe, hat es noch eine zusätzliche Ebene. Die Vergangenheit dieser Menschen ist hart. Mir scheint, als ob ich es ihnen oft ansehen könnte, die so oft verschwiegene Vergangenheit, welche sie so tief in sich begraben oder ruhen lassen haben, in sich, aus Gründen welche dem Menschen, allen Menschen, innewohnen.

Ich habe viele jüngere und auch ältere Menschen hier kennengelernt, welche über ihre Familie, Eltern, Großeltern geredet haben, Berliner, auch Deutsche aus anderen Gegenden zugereist. Viele beklagten sich über dieses Schweigen in der Familie und dass die Eltern, die jetzt auch schon älter sind, endlich mal dieses Schweigen aufbrechen sollten, bevor sie nichts sagen, oder nur Oberflächlichkeiten mit ihren Kindern austauschen. Viele der Eltern und Großeltern sind mit Schamgefühl behaftet. Viele können gar nicht anders als verdrängen, weil der Schmerz der Vergangenheit unerträglich ist.

Viele dieser alten Menschen leben in Altersheimen. Ich habe so oft sehr entzückende, feine, alte Menschen, auf der Straße, hier und dort, kennengelernt. Sie waren meistens sehr begeistert zu hören, woher ich komme und was für Musik ich mache und dass ich Roma-Wurzeln habe, und Serbien ist ja auch so eine Geschichte. Sie hören mir dann meistens gern zu, erst recht dann.

Ich habe hier auch schon Konzerte gespielt, in denen eher ältere Menschen beisammen gesessen haben, in Reinickendorf z.B. Und als ich am Schluss gefragt habe, was sie denn noch hören wollten, meine eigene Komposition, einen Jazz Standard oder Roma-Songs, haben alle einheitlich geschrien, ROMA-Songs. Das hat mich so entzückt. Sie waren sehr angetan. Hier, im nördlichen Deutschland, wie Berlin z.B. sind die Menschen an diese Musik nicht so gewohnt, oder sagen wir mal, sie sind nicht, wie die Wiener, so übersättigt und verwöhnt von der Balkan-Musik und der Musik der Roma. Dieses Publikum hier ist viel dankbarer. War es wohl in Wien vor vielleicht 20 Jahren auch so? Hmm…,weiß ich nicht genau, muss ich zugeben. Es war zumindest einfacher als jetzt, sich einen Namen in dem musikalischen Bereich zu machen, weil es noch nicht so Viele gab. Aber die Menschen hier vor Ort haben mich sehr berührt, hier in Berlin. Ich bin mir sicher, dass wir uns in diesem Moment gegenseitig heilen. Denn, dass Musik eine Heilkraft hat, das ist für mich klare Sache. Allein schon, wegen der Schwingung. Die Roma- und Gipsy-Musik weint, sie lacht, sie tanzt, sie swingt und lebt das Leben so, wie es ist. Sie berührt, weil sie das Leben in all seinem Schmerz, in seiner Freude und Leidenschaft besingt.

Und um auf das Altersheim zurückzukommen. Mir ist über diese süße Frau, welche ich letztens im Edeka sah, klargeworden, dass es mir Freude machen würde, in Altersheimen Musik zu machen und zwar eben auch unter anderem Roma-Musik, und Gespräche zu führen. Es sollte so etwas wie ein Projekt sein. Wer weiß, vielleicht würde es etwas zur Vergangenheitsbewältigung beitragen. Auf jeden Fall kann es nur gut tun, alleine schon durch die Musik, welche Menschen in andere Zustände versetzt und die heilenden inneren Kräfte aktiviert. Meinetwegen soll es ein momentanes verbessertes Erinnerungsvermögen bewirken und Glückshormone ausschütten. Allein schon das ist es wert so etwas zu machen. Ich bin ein Mensch welcher gerne gibt, sonst wäre ich nicht Sängerin. Dabei geht es aber nicht nur um mich. Ich mache Menschen gerne glücklich. Denn, wenn andere Menschen glücklich sind und mich anstrahlen, weiß ich, dass ich etwas vom momentanen Glück, welches ich beim Musizieren sehr intensiv spüre, weitergeleitet, versprüht habe. Das schönste Geschenk für mich ist der Moment, wenn Menschen nach dem Konzert zu mir kommen und mir sagen, „Ich musste weinen, so sehr hat mich das berührt. Der Song, der Gesang. Ich gehe glücklich nach Hause“. Das tue ich dann auch ;-))

M.L.

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